Unterwegs entdeckt - kurz erklärt
Ton und Mergel
Wer durch die offenen Felder, Kuppen und stillen Gruben des Ravensberger Landes wandert, entdeckt eine Landschaft, die nicht allein von Wind und Wasser geformt wurde – sondern auch von Jahrhunderten menschlicher Nutzung. Ton und Mergel prägen vielerorts das Bild: hellgraue Steilwände, kleine Tümpel, schroffe Kanten und weite Offenflächen erzählen von ihrer Entstehung und ihrem Abbau.
Sie wirken auf den ersten Blick rau und unscheinbar. Doch gerade in diesen nährstoffarmen, offenen Böden entstehen Lebensräume, die es heute kaum noch gibt – und die für manche gefährdete Tier- und Pflanzenart überlebenswichtig sind.
Zusammenfassung
Ton- und Mergelabbau hat die Landschaft im Kreis Herford sichtbar geprägt – und dabei Lebensräume geschaffen, die heute kostbar sind. Kleine Pfützen, warme Rohböden, offene Hänge und karge Wiesen bieten spezialisierten Arten wie Kreuzkröte, Zauneidechse oder zahlreichen Wildbienen ein Zuhause. Orte wie die Tongrube Wallenbrück oder der Doberg zeigen eindrucksvoll, wie eng Erdgeschichte, Nutzung und Naturschutz miteinander verknüpft sind. Wer hier wandert, erlebt geologische Zeit, Kulturgeschichte und Artenvielfalt auf engstem Raum.
Landschaften aus Erde, Zeit und Veränderung
Die Ton- und Mergelschichten erzählen viel über die Landschaftsentstehung: Oben liegt junger Lehm, darunter Lehmton, dann hochwertiger Schieferton – Reste eines alten Meeresbodens, der sich im Laufe der Erdgeschichte aufgewölbt hat.
Die Tongruben – Fenster in die Erdgeschichte
Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Tongrube Wallenbrück, die um das Jahr 2000 auf einer ehemaligen Ackerfläche entstand. Auf rund 16 Hektar wird hier Ton gewonnen – ein Rohstoff, der seit Jahrhunderten für Ziegel, Klinker, Bodenplatten oder Dachpfannen genutzt wird.
Der Abbau folgt einem klaren Rhythmus: Im Sommer werden Lehm, Lehmton und Schieferton abgetragen, zu Haufen geschichtet und schließlich im Herbst und Winter abgefahren.
Zuvor wird der Mutterboden zur Seite geschoben und für die spätere Rekultivierung aufbewahrt.
Pro Jahr werden in Wallenbrück rund 20.000 bis 30.000 Tonnen Material gewonnen. Bis maximal zwei Meter über dem Grundwasser wird abgebaut – und anschließend wird das Gebiet nach einem verbindlichen Rekultivierungsplan wieder gestaltet. Aus dem einstigen Acker entstehen nährstoffarme Offenlandschaften, kleine Stillgewässer und Grünflächen. Lebensräume, die vorher nicht existierten.
Lebensräume für Spezialisten
Auf den ersten Blick wirken sie unscheinbar: Fahrspuren von Baufahrzeugen, kleine Pfützen, offene Lehmflächen ohne Bewuchs. Doch genau solche Strukturen sind für manche Art unbezahlbar.
Die Kreuzkröte liebt das Extreme: warme, vegetationsarme Böden und kurzlebige Gewässer, die nach wenigen Wochen wieder austrocknen. Genau diese Bedingungen entstehen in aktiven und ehemaligen Abgrabungsflächen.
Sie nutzt flache Reifenspuren als Laichplatz, besiedelt kleine Tümpel, die sich im Tonboden bilden und profitiert von der Wärme der offenen Flächen. Kaum eine andere Amphibienart ist so perfekt an diese Lebensräume angepasst.
Wo Ton abgebaut wird, hat die Kreuzkröte eine Zukunft – wenn die Flächen nachgenutzt oder gezielt erhalten werden.
Auch Zauneidechsen finden ideale Bedingungen: Offenflächen, Steilhänge, warme Rohböden und Krautsäume bieten Verstecke und Brutplätze. Die Tiere sonnen sich an den kargen Abbruchkanten, jagen auf vegetationsarmen Böden und schätzen das Mosaik aus Wärme, Struktur und Ruhe.
Der Doberg – ein Mergelberg voller Geschichte
Der Doberg in Bünde wirkt wie ein kleiner Berg – tatsächlich ist er aber eine zerklüftete Landschaft, die durch Mergelabbau entstand. Bis zu 30 Meter ragt er über die Umgebung, geprägt von Wiesen, Schlehengebüschen, Wegrainen, lichten Wäldern und feuchten Senken.
Geologisch ist der Doberg ein Schatz von internationaler Bedeutung:
Er enthält eine der vollständigsten Oligozän-Schichtenfolgen nördlich der Alpen und gilt als Stratotyp dieser Epoche. Fossilien – darunter die berühmte Seekuh Anomotherium langewieschei – machten den Doberg weltbekannt. Bei Interesse können im Dobergmuseum Bünde Fossilienfunde aus dem Doberg bestaunt werden.
Heute ist das Gebiet streng als Naturschutzgebiet und geologisches Naturdenkmal geschützt. Wege dürfen nicht verlassen werden und das Schürfen nach Fossilien ist verboten, um die empfindlichen Mergelhänge zu erhalten.
Artenvielfalt auf kargen Böden
Magerwiesen, sonnenwarme Mergelfelsen und offene Rohbodenflächen schaffen Lebensräume, die es im Kreis Herford kaum noch gibt.
In den warmen Mergelhängen leben mehr als 60 Wildbienenarten. Sie nutzen offene Bodenstellen zum Nisten und profitieren von der Blütenvielfalt der umliegenden Magerwiesen. Dort finden sich beispielsweise Pflanzenarten wie Thymian, Kleiner Klappertopf, Magerwiesen-Margerite und Wilde Möhre, die wertvolle Nahrung für zahlreiche Insekten bieten.
Viele dieser Arten sind auf nährstoffarme Standorte angewiesen – ein Lebensraum, der in der intensiven Landwirtschaft fast verschwunden ist.
Blindschleichen finden in den strukturreichen Wiesen und Gebüschen des Dobergs ideale Bedingungen. Sie nutzen die Mergelrisse und Wurzelbereiche als Versteck, jagen in besonnten Säumen und profitieren von der mosaikartigen Landschaft.
Revitalisierung stillgelegter Abgrabungsflächen – Natur gewinnt Raum zurück
Nach Beendigung des Abbaus beginnt die Phase der Renaturierung. Dabei entstehen vielfältige Lebensräume wie nährstoffarme Grünflächen, Brachen, Heiden, Kleingewässer, Abbruchkanten für Reptilien, offene Rohböden für Pionierarten oder Blühflächen für Insekten. Die Rekultivierung ist ein verbindlicher Bestandteil des Abbauprozesses: Spätestens drei Jahre nach der Stilllegung müssen die Maßnahmen umgesetzt sein. Viele Gebiete entwickeln sich bei richtiger Pflege zu echten Hotspots der Artenvielfalt. Was zuvor beispielsweise als Acker genutzt wurde, verwandelt sich in ein abwechslungsreiches Mosaik seltener Lebensräume – ein Gewinn für Biodiversität und Landschaftserlebnis.
Damit diese besonderen Lebensräume dauerhaft erhalten bleiben, ist aktive Pflege notwendig. Viele Arten sind auf offene oder halboffene Strukturen angewiesen, die ohne Maßnahmen wie Entbuschung oder Offenhalten der Flächen schnell zuwachsen würden. Die Biologische Station betreut solche Gebiete, sorgt für die Erhaltung der wertvollen Lebensräume und ermöglicht so, dass Arten, die auf diese speziellen Bedingungen angewiesen sind, langfristig überleben können.
Videos
Ton & Mergel
Ton & Mergel als Lebensraum
Ton & Mergel im Doberg
Wegempfehlung
Die 2,5 Kilometer lange Wanderung auf der Route 10 „Doberg“ bietet eindrucksvolle Einblicke in Mergellandschaften. Offene Hänge, kleine Tümpel und blütenreiche Magerwiesen machen diese Wege besonders reizvoll – ideal für naturinteressierte Wandernde, die geologische Besonderheiten und seltene Arten entdecken möchten.
Weitere Wanderrouten, auf denen sich Ton & Mergel entdecken lassen:
Route 2 | Mühlenburg und Katzenholz
Route 3 | Hücker Moor
Route 12 | Rund um Oldinghausen
Route 14 | Schloss Ulenburg und Häver
Route 17 | Schweichelner Berg
Route 24 | Saalegge und Voßgrund
Wer mehr über den Doberg erfahren möchte, kann das Doberg-Museum in Bünde besuchen
Unser Tipp
Natur braucht Rücksicht. Bleiben Sie bitte auf den Wegen, bringen Sie ein Fernglas mit – und genießen Sie die Schönheit dieser Landschaften ganz bewusst von dort aus.